Viele würden Kilsheelan wohl als „am Arsch der Welt“ bezeichnen. Warum zieht es einen in Wien geborenen Künstler eigentlich genau hierher?
Ich liebe die Einsamkeit der irischen Landschaft. In meiner Jugend wollte ich immer weg von Wien. Nach dem Krieg wollten das die meisten aus meiner Generation. Egal, wer, H.C. Artmann, Hundertwasser, alle haben ständig davon geredet auszuwandern. In Wien herrschte bis in die Achtzigerjahre ein grauenhaftes Klima. Zuerst bin ich nach Deutschland, dann in die USA, die ich mir immer vorgestellt hatte wie den Sehnsuchtsort meiner Kindheit: Entenhausen.
Weil Ihnen Ihr Vater ein Donald Duck-Heft geschenkt hat?
Donald Duck, aber auch Charly Chaplin und Elvis waren wie himmlische Sendboten, die zu uns Kinder in das finstere Nachkriegs-Wien herabgestiegen sind, um von einer neuen, besseren Welt zu künden.
Von dem idealisierten Amerikabild meiner Kindheit und Jugend ist nicht mehr viel übrig geblieben, die USA sind auf dem direkten Weg in einen Polizei- und Überwachungsstaat, der Orwells 1984 wie ein Hippie-Dorf aussehen lässt. Es ist seltsam, trotz alledem habe ich in Amerika immer noch ein subjektives Gefühl von Freiheit, die es sonst nirgendwo gibt. Mir ist die Lebensweise in Amerika so vertraut und ein Teil von mir wird immer mit diesem Land und den Menschen verbunden sein.
Sie sind aber nicht in den USA geblieben.
Die Hälfte des Jahres verbringe ich immer noch in Los Angeles, aber mir ist irgendwann klargeworden, dass ich trotz der Liebe zu diesem Land nie amerikanischer Staatsbürger werden könnte, dazu bin ich einfach zu sehr europäisch. Ich brauche die Vielfalt der verschiedenen gewachsenen Kulturen und Traditionen Europas. Daher habe ich gedacht, ich suche mir ein Hauptquartier an dem für mich idealen Ort in Europa.
Darüber könnte man diskutieren.
Eigentlich stand Italien ganz oben auf meiner Liste, es ist mit seiner Lebenskultur wahrscheinlich das beste Land der Welt. Ich habe einige Zeit in der Nähe von Napoli gelebt und nach einem passenden Haus gesucht, aber ich habe bald gemerkt, dass ich auf das süditalienische System überhaupt nicht vorbereitet war. Dieser Art von hochentwickelter Korruptionskultur und eleganter Desorganisation, die sich in 2000 Jahren entwickelt hat, war ich einfach nicht gewachsen. Da ich von meiner Arbeit lebe, muss meine Post manchmal ankommen, also musste ich mich nach einem anderen Ort umsehen.
Warum sind Sie nicht weiter in den Norden gezogen?
Ein italienischer Kunstkritiker hat einmal zu mir gesagt: „Your Art is very gothic“, was aus der Sicht eines Süditalieners durchaus nachvollziehbar ist.
Ich habe also beschlossen mich weiter nördlich umzusehen und bin nach Irland gereist. Ich wusste nicht viel über das Land, ich habe meine Familie genommen und bin kreuz und quer über die Insel gefahren. Es war Weihnachten, es hat geregnet, geschneit und gestürmt, wir waren tagelang an der Westküste unterwegs, wir sassen in kleinen Pubs und tranken Guinness. Ich kann mich noch gut an den eigenartigen Geruch des Torffeuers erinnern. Aus irgendeinem Grund waren wir sofort begeistert von diesem Land und sind geblieben. Und im Rückblick kann ich sagen, es war eine der besten Entscheidungen meines Lebens.
In den Siebziger- und Achtzigerjahren wurden Sie in Österreich und Deutschland wegen Ihrer Kunst auch angefeindet. War das in Irland nicht der Fall?
Marcel Duchamp hat gesagt: “Ein Gemälde, das nicht schockiert, ist nichts wert.” Demnach müsste man meinen Bildern einen sehr hohen Wert zumessen. In den ersten Jahren haben meine Arbeiten tatsächlich für einige Aufregung gesorgt, Ausstellungen wurden abgebrochen, Bilder wurden mit “entartete Kunst”- Stickern überklebt, andere wurden in einer Galerie durch die Polizei beschlagnahmt. Aber das ist lange her.
Eines meiner Bilder war kürzlich auf dem Katalog-Cover der “Irish Art”-Auktion bei Sotheby’s London. Ich werde hier gut behandelt, ich kann nicht klagen.
Nie daran gedacht, wieder nach Österreich zu kommen?
Geistig habe ich Wien ja nie ganz verlassen. Meine Arbeit ist tief in der Österreichschen Kulturtradition verwurzelt, und ich werde überall in der Welt als österreichischer Künstler betrachtet. Man könnte sagen, wo immer ich bin, ist Österreich. Aber mein Heimatbegriff geht weiter. Er beinhaltet auch Amerika, Italien und Irland. Irland ist jedenfalls guter Ort für Künstler. Böll hat hier gelebt, HC Artmann, Houellebecq, Ransmayr und Mitterer.
Großkonzerne denken offenbar auch so. Wie lebt es sich in einer Steueroase?
Als Irland noch ein unabhängiges, armes kleines Land war, gab es hier tatsächlich Steuerfreiheit für Künstler, und vor allem Schriftsteller aus der ganzen Welt haben hier gelebt und gearbeitet.
Das ist aber lange vorbei. Seitdem die Anglo-Irish-Bank dieses Land in den Bankrott gestürzt hat, und seitdem die Troika die finanziellen Entscheidungen trifft, sind die Steuerprivilegien für Künstler eliminiert worden.
Nur Grosskonzerne sind hier praktisch von jeder Steuer befreit. Die schwachsinnige Regierung hier weigert sich mit Händen und Füssen, sogar gegen die Aufforderung aus Brüssel, die 13 Milliarden Euro Steuern, die Apple dem Land schuldet, zu kassieren.
Oft denke ich, dass die irische Bevölkerung etwas Besseres verdient hat als diese Anhäufung von korrupten Vollidioten in der Regierung. Sie haben es auch geschafft, die wenigen natürlichen Ressourcen , die diese Insel besitzt, für ein Butterbrot an internationale Großkonzerne zu verscherbeln. Irland besitzt nun nichts mehr, ausser Schulden. All das führt dazu, dass Menschen Politikern und dem System nicht mehr vertrauen.
Welches System?
Das System, das zum Beispiel die gesamten Fischerei-Rechte des Landes an ausländische Konzerne verschleudert hat, die nun mit riesigen Schiffen, die aussehen wie Fabriken, das ganze Meer leerfischen. Irischen Fischern wurde hingegen eine minimale, rein symbolische, Fangquote verordnet.
Irgendein ein Arschloch in Brüssel, das noch nie in seinem Leben einen Fuss auf diese Insel gesetzt hat, hat offensichtlich darüber nachgedacht, wie man das Leben der Menschen hier noch schwieriger und komplizierter machen kann.
Alles wird bürokratisiert und privatisiert, und die grossen Entscheidungen werden im Zuge der Globalisierung immer weniger von Politikern getroffen, sondern von der Troika und Goldman-Sachs. Am Beispiel Griechenland sieht man sehr gut, wie ein Land zuerst in den Ruin getrieben, und dann vom Großkapital und den Bankern wie ein Vogelnest geplündert wird.
Österreich gehört zur EU, ist vielleicht auch überbürokratisiert, aber was sagen Sie zum schlampigen Verhalten bei der Hofburg-Wahl. Zuerst aufgehoben, weil man sich nicht an das Gesetz hielt, dann verschoben, weil der Kleber nicht pickte.
Ich denke es ist ein Phänomen der ganzen westlichen Welt, dass das Vertrauen der Menschen in die traditionellen, etablierten Parteien und Medien schwindet.
Viele halten die etablierten Parteien für korrupt und entweder unwillens oder unfähig auf die Probleme der Menschen einzugehen und sie vor dem zu beschützen, was sie als Bedrohungen empfinden.
Es verbreitet sich immer mehr der Eindruck dass die regierenden Politiker eher für die Interessen des Grosskapitals arbeiten als für die Interessen der Bürger.
In Zeiten von Angst und Unsicherheit wenden sich viele Menschen eher radikaleren Parteien und Ideologien zu. Das erklärt die Erfolge der FPÖ, AfD und Marine Le Pen, oder auch die der Linken wie in Griechenland uns Portugal. In Amerika haben wir eine ganz ähnliche Situation, da wurde das ganze politische Establishment durcheinander gewirbelt, als die Wähler scharenweise zu den Aussenseitern Bernie Sanders und Donald Trump übergelaufen sind.
Aber anstatt zu versuchen, diese Reaktion der Wähler zu verstehen, und die Gründe für ihr Verhalten zu analysieren, bezeichnet man sie lieber pauschal als „Pack“ (SPD-Chef Sigmar Gabriel, Anm.). Das erinnert mich an Bertolt Brecht, der gesagt hat: “Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?”
Hofer könnte Bundespräsident werden, die FPÖ eine Regierungspartei. Was wäre schlecht daran?
Ich glaube, das letzte was wir jetzt in Österreich, in Deutschland oder sonstwo in Europa brauchen, sind rechtsextreme, rassistische Ideologien.
Das Dumme ist nur, dass viele der Probleme, die die FPÖ und andere rechte Parteien in Europa ansprechen, tatsächlich existieren und eine grosse Verunsicherung und Belastung für die Menschen darstellen. Die Flut an Flüchtlingen die teilweise unkontrolliert nach Europa strömt, und mittlerweile eher einer modernen Völkerwanderung gleicht, hat die Politiker Europas völlig überfordert.
Es ist den Regierungen nicht gelungen zwischen echten Kriegsflüchtlingen und kriminellen und extremistischen Islamisten zu differenzieren, und dann hat man versucht, die daraus resultierenden Probleme einfach zu ignorieren, zu leugnen, totzuschweigen. Man musste um jeden Preis an der Gutmenschen-Pose festhalten, um nur ja nicht als fremdenfeindlich dazustehen. Die Ereignisse der Kölner Silvesternacht in der es massenhaft zu sexuellen Übergriffen kam, es wurden über 1000 Anzeigen erstattet, und mehrere Terroranschläge in Deutschland, Frankreich und Belgien haben dann eine Zäsur dargestellt. Es lässt sich nicht mehr abstreiten, dass es ungelöste Probleme in der Flüchtlingsfrage gibt.
Wenn die etablierten Parteien so weiter machen und keine Lösungen finden, müssen Sprache & Co gar nichts machen, sie müssen sich nur zurücklehnen und abwarten.
Sie sind gegen Willkommenspolitik und für Grenzschließung?
Woher kommt eigentlich diese schwachsinnige Idee, dass es nur diese zwei Extreme geben kann: entweder alles dicht machen und das Land mit einem eisernen Vorhang abriegeln wie Orban, oder wie Merkel mit gefalteten Händen dazustehen und jeden, auch wenn er seinen Pass wegwirft, ungefragt hereinlässt, solange er nur wie ein Araber aussieht.
Wofür sind Sie?
Selbstverständlich muss man Menschen, die vor Krieg und Terror flüchten, helfen. Wir in Österreich und Deutschland haben sogar eine historische Verpflichtung dazu. Unsere Länder waren für den grössten Massenexodus der jüngsten Geschichte verantwortlich, und die Zeugnisse der vielen Menschen, die alles zurücklassen mussten und verzweifelt versucht haben, irgendwo aufgenommen zu werden, sind nur zu lebendig. Wir helfen den Flüchtlingen aber nicht, wenn wir auch jugendliche Kriminelle aus Marokko und Tunesien völlig unkontrolliert mit hereinlassen. Damit spielt man den Rechten nur in die Hände und trägt zu den Übergriffen gegen unschuldige Flüchtlinge bei.
Wir sollten aber auch einmal die Ursachen des gegenwärtigen Flüchtlingsproblems ansprechen. Der ganze Mittlere Osten ist durch die ständige Einmischung, die Invasionen und Bombardierungen der Westmächte vollkommen verwüstet und teilweise unbewohnbar geworden. Die Standardprozedur amerikanischen Aussenpolitik scheint zu sein: ultimative Drohungen und “in die Steinzeit zurück bomben”, wie sie es US-Generäle gerne formulieren. Die ständigen kriegerischen Interventionen der Amerikaner und ihrer Verbündeten, haben noch nie irgendein Problem gelöst oder irgendjemandem geholfen, ausser dem Military Industrial Complex und seinen Banken.
Die westliche Militärmaschinerie ist ein gefrässiger Koloss, der niemals genug kriegen kann. Seit dem 2ten Weltkrieg war die sogenannte erste Welt immer im Kriegszustand mit der sog. dritten Welt und hat eine Spur der Verwüstung hinterlassen: Korea, Vietnam, Kambodscha, Laos, Guatemala, Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien usw.. In diesen Kriegen sind zig-Millionen Menschen gestorben. Aber es reicht noch nicht. Nun muss der Krieg auch noch auf Iran und Russland ausgewertet werden. Hillary Clinton hat wortwörtlich gesagt: “Ich will dass die Iraner wissen, wenn ich Präsidentin bin, werden wir den Iran angreifen und wir sind imstande sie total auszulöschen.”