Museums
Der-Meister-des-Schreckens
13. April 2021
.
Westerwälder Zeitung
Der Meister des Schreckens
Stefan Schalles
In seinen hyperrealistischen Bildern greift Gottfried Helnwein Tabuthemen wie Gewalt und Missbrauch auf − Schau im Ludwig Museum
Verstörend sind die Bilder, oftmals abstoßend, und doch kann man nicht umhin, sie in Betracht zu nehmen, staunend vor den großformatigen Gemälden zu verweilen. Ob es nun die Darstellung der Jungfrau Maria ist, die, umringt von SS-Offizieren, das Adolf Hitler ähnelnde Jesuskind auf dem Schoß hält, oder das blonde Mädchen mit starren Augen, über dessen rechte Körperhälfte sich ein Blutstrom ergießt. Gottfried Helnwein, Kreateur dieser Motive, gilt als Meister der Malerei, bekannt vor allem für seine hyperrealistischen Abbildungen verwundeter und bandagierter Kinder, dabei umstritten wie kaum ein anderer Künstler der Nachkriegszeit. Eine Auswahl seiner Werke zeigt das Koblenzer Ludwig Museum nun seit Sonntag unter dem Titel „Schlaf der Vernunft“.


Oft heftig, stets haptisch
Wenn dessen Direktorin Beate Reifenscheid über Helnweins Œuvre spricht, fallen Formulierungen wie „faszinierende“ Gemälde, die „wie Fotos wirken“ und damit so nah an der Realität sind, dass man sie „fast schon haptisch erfassen“ kann. Aber auch von „ziemlich heftigen Darstellungen“ ist die Rede, die beim Betrachter eine „Art Schockzustand“ hervorrufen. Und in der Tat sind die Arbeiten des 1948 in Wien geborenen Künstlers, der zwischen 1985 und 1997 auf Schloss Burgbrohl im Kreis Ahrweiler lebte, nichts für schwache Nerven: Gewalt und Missbrauch sind in Helnweins Werk quasi allgegenwärtig. Seine provokanten, vielfach kontrovers diskutierten Bilder, die in den 1970er-Jahren teils sogar von der Polizei beschlagnahmt wurden, zeigen das unschuldige Kind immer wieder als Opfer, das mal mit traurigem, mal mit trotzigem Blick von der Leinwand schaut, versehen mit Blessuren, Wunden oder Bandagen.
„Das Leid findet dabei vor allem im Kopf des Betrachtenden statt, in dessen assoziierendem Blick“, betont Beate Reifenscheid. Helnwein greife „gesellschaftliche Tabuthemen auf, denen man begegnen muss, auch wenn es schwerfällt“. Oder wie der 72-jährige Österreicher selbst in einem Interview mit dem „Standard“ konstatierte: „Ich glaube, dass es manchmal die Aufgabe des Künstlers sein kann, auch die Dinge anzusprechen und sichtbar zu machen, die die Menschen lieber vergessen und verdrängen würden. Ich sehe mich in der Tradition von Künstlern wie Francisco de Goya mit seinen ,Desastres de la Guerra‘ (Die Schrecken des Krieges), der wahrscheinlich auch an die kathartische Kraft der Kunst geglaubt hat.“
Ein Ansatz, der sich auch in Helnweins Bezugnahme auf die Schwarze Romantik spiegelt, die wiederum im Fokus der Schau im Ludwig Museum steht. In charakteristisch dunklen Farbtönen greift der Künstler die Abgründe des Seelischen, das Albtraumhafte und Grausame auf, übersetzt Sehnsuchtslandschaften und Motive der Epoche mittels eigener Dramaturgie in die Gegenwart. Gleich zu Beginn der Ausstellung im Deutschherrenhaus findet sich etwa eine Rezeption von Caspar David Friedrichs Gemälde „Das Eismeer“, darauf ein Schiff namens „Hoffnung“, das in den tosenden Fluten des Ozeans versinkt. „Das Bild ist auch ein politisches, das als Kritik an der Intention des Menschen verstanden werden kann, die Natur in ihrer Ganzheit zu erforschen, zu unterwerfen“, erklärt Reifenscheid. Helnwein übernehme dieses Motiv und breche – wie in vielen anderen seiner Bilder – „die romantischen Ideale an der Wirklichkeit“.

Flankiert wird die Friedrich-Rezeption von zwei Selbstporträts – auch das eines der stetig wiederkehrenden Sujets im Werk des Österreichers –, die ihn mit blutgetränktem Verband um den Kopf und verbundenen Augen zeigen. „Helnwein“, schildert Reifenscheid, „malt sich auf seinen Bildern immer wieder verstümmelt, mit Operationsbesteck im Gesicht und schreiend.“ Motive, die er einerseits als Zeichen der Selbstverletzung verwende, andererseits aber auch als Ausdruck des aktiven Protests. In der Tradition Goyas, die Helnwein immer wieder aufleben lässt, sind die Werke somit auch eindringliche Appelle, aufzuwachen und etwas gegen Missstände zu unternehmen.

Von den Selbstbildnissen des leidenden, verletzten, ja, unterworfenen Menschen, dem nur noch der verzweifelte Schrei bleibt, ist es indes nicht mehr weit zu den Verbrechen des NS-Regimes – und damit der dritten thematischen Säule in Helnweins Schaffen. Auch hier verwendet der Künstler vielfach historische Motive, die er adaptiert und mit eigenen Einflüssen überblendet. Im Ludwig Museum ist zu diesem Themenkomplex etwa eine Originalaufnahme Adolf Hitlers zu sehen, der einem kleinen Mädchen in der Hocke gegenübersitzt, wobei der Kopf des Kindes in Helnweins Version durch das Konterfei von Mickey Maus ersetzt ist – sowohl die Zeichentrickfigur als auch der Diktator lächeln. „Helnwein inszeniert das Original hier als sarkastische Spiegelung nach dem Motto: Wer von den beiden grinst eigentlich breiter – beziehungsweise boshafter“, erklärt Reifenscheid und ergänzt: „Er war neben Anselm Kiefer einer der wenigen Künstler, die sich nach dem Krieg intensiv mit der Nazizeit auseinandergesetzt haben. Wie auch beim Thema Kindesmissbrauch vertrat Helnwein die Überzeugung, dass dieser Komplex aufgearbeitet werden muss, anstatt totgeschwiegen zu werden.“

Während sich im Untergeschoss des Ludwig Museums neben der Führerparodie und dem Mariabildnis „Epiphany I“ schließlich noch weitere in Dunkelblau und Schwarz gehaltene Gemälde in die Werkschau einfügen, dominieren das Stockwerk darüber Helnweins mehrdimensional überwältigende Kinderbildnisse. Dort schauen zunächst malträtierte, teils entstellte Mädchen von den Wänden, später dann solche mit Maschinenpistolen in den Händen, die sich dem Unrecht nun zu erwehren scheinen und dabei selbst gewalttätig werden.

Gegen moralische Trägheit
Auch hier, sagt Reifenscheid, zeige sich die Ambivalenz in Helnweins Bildern, die einerseits verstörend, gleichzeitig aber eben auch (technisch) unheimlich beeindruckend seien – und dabei nach wie vor hochaktuell. Der Titel der Schau, eine Anspielung auf das 43., „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ benannte Blatt aus Goyas Capricho-Zyklus, hebe das noch einmal hervor: „Der Schlaf“, sagt Reifenscheid, „ist ein Zustand, in dem wir nicht vernunftgesteuert denken und vieles zulassen. Diese offensichtliche Abwesenheit des Verstands lässt sich – auch fernab der Corona-Pandemie – nach wie vor in vielen Krisen unserer Zeit erkennen.“ Und vielleicht ist es gerade jene (moralische) Trägheit, gegen die Helnweins Kunst schlussendlich ihre nachdrücklichste Wirkung entfaltet. Mit Bildern, die schockieren, keine Frage, gleichzeitig aber eben auch die Augen des Betrachters öffnen – ob er es nun will oder nicht.




Die Ausstellung läuft bis zum 30. Mai, ist aufgrund der Corona-Lage jedoch noch nicht begehbar. Virtuelle Rundgänge (in Kürze), einen Katalog zur Schau sowie Infos zu einer möglichen Wiedereröffnung des Hauses unter www.ludwigmuseum.org
Verstörend, faszinierend, hyperrealistisch: Mit diesen Attributen lässt sich das Werk Gottfried Helnweins wohl in aller Kürze zusammenfassen. Der österreichische Meistermaler befasst sich in seinen Bildern, die in ihrem Detailreichtum wie Fotos wirken, immer wieder mit Tabuthemen wie Gewalt und (Kindes-)Missbrauch. Stetig wiederkehrendes Motiv im Œuvre des Künstlers ist zudem die kritische Auseinandersetzung mit dem NS-Regime und dessen Ideologie.
Fotos: Gottfried Helnwein/VG Bild-Kunst





nach oben